Donnerstag, Februar 01, 2018

Wir sind nicht da, um zu verschwinden von Olivia Rosenthal

Schwarzes Loch


Ein Mann attackiert seine Frau mit gezielten Messerstichen, flüchtet aus dem Haus und versteckt sich im Nachbargarten. Als ihn die Polizei dort stellt, will er sich angeblich nicht an die Tat erinnern können. Was wie eine Anekdote klingt, erweist sich als bittere Wahrheit: Er hat einen akuten Alzheimer-Schub erlitten.
Was verbindet uns mit anderen und mit der Welt? Was bleibt, wenn das Gedächtnis erlischt, das Bewusstsein, die Seele, unsere Identität? Wie lebt es sich als eine Figur des Nichts – oder als deren Angehörige? Diesen zentralen Fragen geht Olivia Rosenthal in ihrem preisgekrönten Roman eindringlich nach. Sie vermischt dabei viele Stimmen – reale, historische, die von Toten: Da gibt es den kranken Täter, aber auch die Forscher Alois Alzheimer und Emil Kraepelin, da sind die Gattin und die Kinder des Kranken, die verletzten oder verletzenden Besucher in der Psychiatrie, von deren Alltag wir erfahren; dazwischen meldet sich die Erzählerin zu Wort, die mit dem Tod ihrer Schwester konfrontiert wird ... (Original-Klappentext)

Olivia Rosenthal berührt mich zutiefst mit ihrem einzigartigen Schreibstil und ihrer feinen Sprache. Das Thema ihres Buches wühlt mich auf. Erschreckend ist die Erkenntnis, dass die Erkrankung Alzheimer jeden von uns oder unsere Lieben treffen kann und das jederzeit. Die Anzeichen treten schleichend auf und sind nicht leicht zu deuten. Sicher hat heutzutage jeder einmal etwas über die Krankheit gehört, sei es durch prominente Erkrankte oder aus dem eigenen Familien- und/oder Freundeskreis. Die Autorin setzt in ihrem Buch das Verschwinden in den Vordergrund und genau so ist es, der Patient verschwindet langsam, nicht nur seine Erinnerung. Ein Buch voller Emotionen, das eindringlich schildert, in welcher Verzweiflung die Beteiligten (die Erkrankten und deren Angehörige) tief fest sitzen. Was bleibt, wenn ein geliebter Mensch sich nicht mehr an uns erinnert und an gemeinsam Erlebtes? Olivia Rosenthal stellt solche Fragen und sucht Antworten. Meine Schwiegermutter Solveig, die ich leider nicht mehr kennen lernen durfte, gehörte zu den Erkrankten und mein Ehemann schildert Begegnungen mit ihr, als sei da ein Vorhang vor ihren Augen gewesen, der sich langsam schloss und nur manchmal noch ganz kurz öffnete. Ich vermag nicht zu sagen, für wen die Demenz schlimmer ist, für den Patienten oder für seine Angehörigen.

Der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer-Krankheit ist das Alter. Nur in seltenen Fällen sind die Betroffenen jünger als 60 Jahre.
Kennzeichnend für die Erkrankung ist der  langsam fortschreitende Untergang von Nervenzellen und Nervenzellkontakten.
Im Gehirn von Alzheimer-Kranken sind typische Eiweißablagerungen (Amyloid-Plaques) festzustellen.
Zum Krankheitsbild gehören Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Sprachstörungen, Störungen des Denk- und Urteilsvermögens sowie Veränderungen der Persönlichkeit. Diese Störungen sind bei den Betroffenen unterschiedlich stark ausgeprägt und nehmen im Verlauf der Erkrankung zu. Sie machen die Bewältigung des normalen Alltagslebens immer schwieriger.
(Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. )

Die Krankheit ist nach dem Arzt Alois Alzheimer (genauer gesagt war er ein Psychiater und Neuropathologe) benannt, der sie im Jahr 1906 erstmals beschrieb, nachdem er im Gehirn seiner verstorbenen Patientin, Auguste Deter, charakteristische Veränderungen festgestellt hatte. Für seine Forschungen ließ er sich die Krankenakte und das Gehirn von Frankfurt nach München senden und untersuchte das Gehirn. Später berichtete er in einem Fachvortrag über die auffälligen Veränderungen im Gehirn der Patientin. Im folgenden Jahr veröffentlichte er den Beitrag „Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“ in der „Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie“.
(Quelle: Wikipedia)

Die Autorin Olivia Rosenthal ist 1965 in Paris geboren. Seit 1999 hat sie mehrere Romane bei Editions Verticales (Gallimard) veröffentlicht. Für »Wir sind nicht da, um zu verschwinden« (»On n'est pas là pour disparaître«) wurde sie 2007 mit dem »Prix Wepler« sowie dem »Prix Pierre Simon Éthique et Société« ausgezeichnet. Zudem wurde ihr dafür 2009 der deutsch-französische Candide-Preis verliehen. Olivia Rosenthal unterrichtet Literatur an der Universität Paris VIII, verfasst außerdem Theaterstücke und veranstaltet Performances mit Künstlern und Filmemachern.
(Quelle: Ulrike-Helmer-Verlag)
  
Klare fünf Sterne von mir und eine absolute Leseempfehlung!

Herzlichen Dank an den Ulrike Helmer Verlag für die freundliche Bereitstellung eines Rezensions-Exemplars.